CHRISTOPHER WILLIAMS, PROGRAM.
Der amerikanische Künstler Christopher Williams (*1956) untersucht mit seinen Arbeiten auf kritische Weise das Medium der Fotografie. In seiner erst kürzlich im MoMA (2014) in New York und in der Whitechapel Gallery (2015) in London gezeigten Ausstellung The Production Line of Happiness nimmt Williams in seinen Arbeiten die Ästhetik von Werbebilder auf, die aufgrund der makellosen Darstellung der Produkte und der optimierten Komposition ein perfektes Bild ihrer Objekte entwerfen. Williams stellt dabei in komplexer Art und Weise die Konventionen des kommerziellen Bildes, welches mit seiner Perfektion den Verbraucher dazu verführen soll, das gezeigte Produkt zu kaufen, infrage. Für seine Ausstellungen hat Williams ein kohärentes System der Dokumentation und Informationsvermittlung entworfen. Genauso wie die dort gezeigten Fotografien selbst, wird auch der Saaltext, Broschüren und der publizierte Katalog, als Teil der künstlerischen Produktion gesehen. Insbesondere das jeweils im Ausstellungsraum ausliegende Heft, welches zu jeder Ausstellung erscheint und den Titel Program. trägt, hat einen komplexen Stellenwert, der bereits daran sichtbar wird, dass es als Katalog betitelt wird. Das Format von Program., das aus einem Umschlag aus Karton und hineingelegten Seiten besteht, erinnert an einen Registerordner, in welchem Dokumente vor der Digitalisierung von Archiven aufbewahrt wurden. Program. unterscheidet sich in den einzelnen Ausgaben nur in Farbe und Inhalt. Das Format und Layout ist immer gleich gestaltet. Die Frontseite trägt den Titel, die Informationen zur Ausstellung sowie alle Angaben zur Herstellung, von der Schriftart und Grösse, bis hin zur Drucktechnik und Papierwahl. Ähnlich wie bei einem Computerprogramm wird hier eine reproduzierbare Struktur zur Verfügung gestellt. Die Verwertung dieser Informationen bleiben dem Betrachter selbst überlassen. Er kann sie als detaillierte Beschreibung des Herstellungsprozesses hinnehmen oder sich intensiv damit auseinandersetzten.
Program. entzieht sich nicht nur aufgrund seines ungewohnten Formats der üblichen Tradition des Saaltextes, sondern auch dahingehend, dass er keine Auswahl der ausgestellten Werke oder werkbeschreibende Aufsätze beinhaltet. Neben verschiedenen Angeboten, wie einzelne Seiten aus Werbekatalogen, sind dort referentielle Texte beigefügt, die eher Angaben zur künstlerischen Selbstverortung, denn Interpretationen liefern. Statements von John Miller und Lawrence Weiner, kunsthistorische Aufsätze von Kuratoren und Historikern sowie politische Manifestationen von Bertolt Brecht und Pier Paolo Pasolini sind auf einzelne, lose Blätter gedruckt. Diese Seiten scheinen auf den ersten Blick nicht zu der Ausstellung gehörig, da sich diese Texte nicht direkt auf einzelne Werke der Ausstellung beziehen. Um einen Bezug herstellen zu können, muss der Betrachter sich intensiv mit dem Gesamtwerk des Künstlers beschäftigen. Er muss die Ausstellung nicht als einzelnes Projekt, sondern als Teil der gesamten künstlerischen Produktion verstehen. Williams möchte so dem Betrachter mit Program. eine strukturell erweiterte Erfahrung im Ausstellungsraum ermöglichen, die sich nicht auf das blosse Betrachten von Fotografien beschränkt. Er überlässt es dem Leser des Heftes, die vielen von ihm kreierten und miteinander verbundenen Schichten seiner Bilder selbst zusammenzusetzen. Dies kann für den Betrachter mit Geduld eine bereichernde Erfahrung sein, da Williams ihn herausfordert scheinbar nicht zusammengehörigen Teile zu verbinden. Allerdings kann dies ebenfalls in Frustration enden, wenn sich der Zusammenhang für den Betrachter nicht erschliesst. Ob bereichernde Erfahrung oder Frustration, die Konfrontation des Betrachters mit der alltäglichen Welt um in herum, ist das Ziel von Williams, welches er mit seinen Fotografien und seinem Katalog Program. erreicht.
Autor: Alessa Widmer
Dieser Text ist im Zusammenhang mit They Printed It. Formen künstlerischer Selbstdarstellung. Eine Kooperation mit der Kunsthalle Zürich, Kunsthistorisches Institut, Universität Zürich, Simon Baier, entstanden.